Fries, Fritz Rudolf. Verlegung eines mittleren Reiches [ID D15086].
Qixuan Heuser : Das Tauschspiel mit dem chinesischen Zeitalter ist bei Fries fiktionale Romanwirklichkeit. Durch einen Atomkrieg ist der Tausch zustande gekommen. Im Nu ist alles in einem deutschsprachigen Ort auf Chinesisch umgestellt, in Begleitung einer klimatischen Umwandlung der winterlichen Witterung in exotisch tropische Hitze. Die Ortseinwohner, die sonst China in den Büchern nur als eine der ältesten und grössten Kulturnationen kennen, erleben einen überwältigenden Kulturschock. Der Chronist des Ortes, der Ich-Erzähler, notiert die Ereignisse innerhalb knapp eines Jahres. Vom Einmarsch der Chinesen bis zum Untergang des Ortes vermeidet er dabei jegliche Wortverwendung von "China", "Chinesen" oder "chinesisch". Für China verwendet er "das Reich der Mitte" und für Chinesen steht "Kwan-yins". Bei sonstigen chinesischen Elementen hütet er sich davor, die Dinge beim Namen zu nennen.
Im Ort wird nach chinesischer Art gelebt : so z.B. Tee trinken, Reis essen und Schriftzeichen pinseln. Die chinesische Währung wird eingeführt. Die Schilderung des chinesischen Lebensstandard besteht aus Lebensmittelrationen, Stromausfall, Wassermangel und Hungersnot. Die chinesische Kulturrevolution breitet sich aus, polemische Propagandabroschüren werden verteilt und Mao-Kult wird getrieben. Das vorher herrschende europäische Leben und die Bequemlichkeit existieren im chinesischen Zeitalter nicht mehr.
Die Reaktionen der Ortseinwohner auf die fremde Regierung sind unterschiedlich : überzeugtes Mitmachen (De-zah), kämpferische Opposition (Gernold), Gleichgültigkeit des Wissenschaftsforschers (Falk), skeptisches und passives Abwarten (der Ich-Erzähler und die meisten Bewohner), idealistische Kooperation (Meister Zi). Interessant sind die Haltung des Ich-Erzählers und der Schlüsselfigur Zi vor allem deswegen, weil sie die einzigen im Ort sind, die eine geistige Beziehung mit dem Reich der Mitte gepflegt haben, bevor sie die "Kwan-yins" zu Gesicht bekamen.
Das traditionelle China wird nicht als Wirklichkeit dargestellt, sondern hauptsächlich durch die Kenntnisse der zwei Chinakenner, der Ich-Erzähler und der Meister Zi. Der Ich-Erzähler bekennt : "Ich beherrsche die Sprache, Zi und ich haben uns schon immer im Reich der Mitte ausgekannt, in den Lehren der Meister". Damit gemeint sind die klassischen chinesischen Werke von Laozi, Zhuangzi, Konfuzius, die oft zitiert, deren Namen aber nie genannt werden. Zi scheint eine Laozi-Figur zu sein. Er geniesst hohe Achtung bei der Ortsbevölkerung "weil er der Älteste unter uns ist, also der Weise". Auch sein Aussehen wird mit einem chinesischen Weisen verglichen. Zi appelliert an das Vertrauen der Ortsbewohner zu der neuen Regierung und an die Bereitschaft zur Kooperation, wobei der Laozi frei zitiert : "Und Geduld, meine Freunde, dass das Weiche das Harte besiegt, das fliessende Wasser den sperrenden Stein…" Zi zitiert aus dem Lun yu : "Meine Freunde, warum seid ihr traurig, als wäre alles verloren ! Die Welt geht schon lange in die Irre. Nun gebraucht der Himmel euren Meister als Glocke".
Es werden auch chinesische Legenden und Fabelgeschichten in den Roman eingebaut, so z.B. eine Version der Legende der Entstehungsgeschichte des Dao de jing : "Auf einem schwarzen Ochsen reitend, kommt er an den Grenzpass Han Gu. Der Grenzbeamte Yin Hin bittet ihn, die Summe seiner Lebenserfahrung niederzuschreiben für das Entgelt eines Obdachs, etwas Stroh und Brot, dazu Tinte und Papier. Der Meister steigt vom Ochsen, , legt sich aufs Stroh und schläft vierzehn Tage und vierzehn Nächte. Ho ! sagt er, als er aufwacht und sich die Augen reibt. Inzwischen hat der Grenzbeamte Yin Hin die Grenzkontrolle mit grosser Nachlässigkeit erledigt, immer in Gedanken an die Lebenslehre des Meisters, auf die er hofft wie auf einen Goldschatz. So sind ihm eine Reihe Spitzbuben und Staatsverbrecher entschlüpft. Dafür wird er verhaftet, am Tag, da der Meister wieder auf seinen Ochsen steigt. Später hat der Geschichtsschreiber Si Ma Tsien [Sima Qian] das Verhalten des Meisters wie folgt entschuldigt : 'Sein Streben war, sich selbst zu verbergen und ohne Namen zu bleiben'. Der säumige Yin Hin wurde hingerichtet."
Literature : Occident : Germany