1776
Publication
# | Year | Text | Linked Data |
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1 | 1776 |
Hirschfeld, Christian Cajus Lorenz. Widerlegung des herrschenden Begriffs von den chinesischen Gärten [ID D26952]. Quellen : Chambers, William. Du Halde, Jean-Baptiste. Description [ID D1819]. Le Comte, Louis. Nouveaux mémoires sur l'état présent de la Chine... [ID D1771]. Pauw, Cornelius de. Recherches philosophiques sur les Egyptiens et les Chinois [ID D1861]. Er schreibt : Die chinesischen Gärten oder das, was man unter diesem Namen reizend genug geschildert hat, ist nicht bloss ein Gegenstand der Bewunderung, sondern auch der Nachahmung geworden. Wenn auch gleich schon Nachdenken und Genie, ohne Unterstützung eines besondern Beispiels, auf die Erfindung der neuen Manier leiten konnten, die man in England aufgenommen und die sich von da weiter zu verbreiten angefangen hat ; so ist es doch wahrscheinlich, dass die Nachrichten von den Gärten in China viel dazu beygetragen haben. Wenigstens ist gewiss, dass die neue Manier in England sich um eben die Zeit am meisten hob, als sich der Ruhm der orientalischen Gärten ausbreitete. Nicht minder ist gewiss, dass der Engländer von einem grossen Vorurtheil für die Gärten in China bezaubert ist, und dass der Franzose und mit ihm der Deutsche sich diesem Vorurtheil zu überlassen anfängt. Man verlangt jetzt nicht etwa Gärten, die mit eigener Überlegung, mit besserm Geschmack, als die alten, angelegt wären ; man verlangt chinesische, oder chinesisch-engländische Gärten. Wie aber, wenn diese Raserei einen unsichern Grund hätte, wie so manche andere Raserei der Mode ? Wenn die chinesischen Gärten, wovon man so entzücket ist, die man so hitzig nachzuahmen strebt, nicht vorhanden wären, wenigstens nicht so vorhanden wären, wie man sich einbildet ? – das wäre doch sonderbar. Freilich wäre es so, und nicht weniger lächerlich, etwas haben nachahmen wollen, wovon man überführt wird, dass es nicht da ist. Als ich zuerst die Beschreibungen der chinesischen Gärten las, ging es mir, wie vermuthlich manchem andern Leser mehr. Ich fand darin wahre und hohe Schönheiten der Natur, nur das davon abgerechnet, was dem morgenländischen Geschmack eigen ist oder zu seinen Ausschweiffungen gehört. Ich ward von so vielen reizenden Scenen entzückt, und vergass bei dieser Bewegung nachzudenken, ob sich auch alles würklich so verhalten mögte. Ein wiederholtes Lesen liess mir mit einer gelassenen Behagung mehr Ruhe, zu überlegen. Ich fieng an, gegen die Wirklichkeit solcher Gärten hie und da einen Zweifel zu finden, und konnte mich nicth enthalten, einige davon zu äussern. Bei einer nähern Vergleichung verschiedener einsichtsvollen Schriftsteller, die von China handeln, habe ich Gründe entdeckt, die mich noch mehr an dem Daseyn solcher Gärten zweifeln machen, wie man uns die chinesischen beschreibt. Ich theile sie hier zur weitern Berutheilung mit. China ist, nach den zuverlässigen Zeugnissen der Reisenden, bey weitem nicht so sehr angebauet, als man oft vorgegeben hat. Sogar nahe um Peking gibt es noch einige meilenlange Wüsten und Moräste. Die entlegenen Provinzen liegen fast alle ganz wüste, zum Theil so wüste, dass Tieger und andere wilde Thiere in Menge umherschwärmen. Der Handel versammelt die Einwohner um die Hauptstadt und schönen Flüsse her, wodurch ein so starker Zusammenfluss von Menschen entsteht, dass die oft einreissende Hungersnoth die schrecklichsten Verwüstungen angerichtet hat. In diesen Gegenden, wo sich die Thätigkeit der Nation am meisten äussert, müsste man die so sehr gerühmten Gärten suchen, wenn anders die nothwendige Sorge, durch Ackerbau den harten Bedürfnissen abzuhelfen, noch Zeit und Ruhe zur Anlegung ländlicher Lustplätze verstattete. Je weiter man in die Provinzen hineinkommt, desto weniger trift man bebauete Länder an; nicht die Hälfte des Erdreichs ist genutzt ; nur selten erscheint ein Dorf. Auch weiss man, dass die Chineser wenig Liebe zum Landbau besitzen, die überdies mit dem heissen Wuchergeist, einer fast allgemeinen Seuche der Nation, nicht vereinbar ist. Comte, du Halde und andere glaubwürdige Zeugen rühmen zwar den Anbau der Küchengewächse in China, wovon die Gärten nie leer sind, weil sich besonders der gemeine Mann davon ernährt. Allein sie bemerken zugleich, dass an der Menge und Manigfaltigkeit der Gewächse und Früchte mehr der gute Erdboden, als die Geschicklichkeit der Einwohner Antheil hat. Die meisten Früchte, setzen sie hinzu, kommen den unsrigen nicht gleich, weil die Chineser nicht die Kunst verstehen oder sich nicht die Mühe nehmen, die Baumfrüchte zu verbessern und ihnen einen mehr anziehenden Geschmack zu geben. Alle ihre Sorgfalt von dieser Seite schränket sich auf den Kornbau und Reisbau ein. Von der Botanik wissen sie fast nichts. Es ist ausgemacht, dass keine der schönen Künste bei den Chinesern zur Volkommenheit emporgestiegen ist. Von der Perspectiv haben sie nicht den geringsten Begrif. In der Malerei klecken sie Landschaften, worin weder Sehepunkt noch Ferne ist. Die dem Gesicht sich entfernende Linien sind ihnen ebenso unbekannt, als der Punkt, worin sie sich vereinigen müssen, indem sie nicht die geringste Kentnis von den Regeln haben, denen die Würkungen des Lichts unterworfen sind. Mit den Gegenstellungen oder den grossen Massen von Schatten sind sie, wie man leicht hinzu denken kan, ebenfals ganz unbekant. Sie wissen nichts von der Kunst, die Farben zu brechen und zu versetzen. Sie musten also sehr verlegen sey, wenn sie den Prospect eines Gartens vorstellen solten. Ihre Zeichnung ist, wie man weiss, sehr schlecht. Nicht einmal den Blumen, die doch so häufig gemalt werden, verstehen sie die Richtigkeit der Zeichnung zu geben. Ihre wilde Einbildungskraft zieht sie von dem Studium der Natur ab, die eine ruhige und bedächtige Betrachtung erfordert ; wozu die Chineser so wenig, als andere morgenländische Völker, aufgelegt sind. Schon aus diesen allgemeinen Bemerkungen wird man eben keine grosse Erwartung schöpfen, dass die schöne Gartenkunst von den Chinesern geliebt und mit Glück getrieben werde, viel weniger dass sie Gärten von so vorzüglichen Schönheiten besitzen, wie man uns überreden will. China ist kein Reich, das erst seit einigen Jahren von den Europäern besucht wurde, oder wohin nur Leute ohne Einsicht, ohne Beobachtungsfeist, ohne Geschmack gekommen wären. Woher komt es, das so viele Reisebeschreiber, so vieles und seit einer so langen Zeit, von China berichten, ohne der so herlichen Gärten der Nation zu erwähnen, und dass man erst in der letzten Hälfte des gegenwärtigen Jahrhunderts angefangen, sie mit einer Art von Begeisterung zu rühmen ? Vielleicht waren sie in den ältern Zeiten noch nicht vorhanden, nicht einmal hie und da in einem vorbereitenden Anfang vorhanden. Allein in diesem Jahrhundert müsten sie doch da seyn. Es sollen ja Gärten seyn, die bei der Nation gewöhnlich, nicht blos diesem oder jenem Grossen eigen sind, Gärten, welche die Nation ohne Beihülfe, ohne Beispiel durch ihr eigenes Genie hervorgebracht hat. Es lässt sich nicht wohl denken, dass solche Gärten so ganz neu seyn oder so verborgen liegen solten, dass sie nur erst vor etwa dreissig Jahren von einem Reisenden hätten bemerket werden können. Wenigstens schon hie und da haben sie längst vorhanden seyn müssen. Die chinesische Nation ist unstreitig keine solche, die auf einmal plötzliche Fortgänge in einer Wissenschaft oder Kunst gemacht hätte ; ihr Genie hat immer nur einen schleichenden Gang genommen, nie einen glücklichen Spring gewagt ; das Vorurtheil für alles, was bei ihr alt geworden, unterstützt ihre natürliche Trägheit. Die paradiesischen Gärten hätten also schon lange blühen müssen, in einer so auffallenden Schönheit, mit so eigenen hervorstechenden Reitzen, dass jeder fremde Auge sie mit Bewunderung hätte wahrnehmen müssen. Und doch ein so tiefes Stillschweigen von so vielen Reisenden, die sie sehen konnten und sehen musten. Vielleicht waren diese Reisende nicht alle Kenner. Der grösste Theil der nach China reisenden Gelehrten bestand aus französischen Jesuiten, die vielleicht entweder keine Einsicht in die Gartenkunst haben oder voll Vorutheil für die Manier ihres Vaterlandes seyn konten. Es mag seyn. Aber so hätten sie doch wenigstens das Eigenthümliche und das Abweichende in dem chinesischen Geschmack bemerken können. Ausserdem waren verschiedene von diesen Missionarien geschickte Architecten und Maler. Die hohen Schönheiten der Natur, welche die chinesischen Gärten darstellen sollen, sind jedem Auge fühlbar. Und der französische Jesuit hätte hier immer eine Ausnahme seyn sollen ? Man weiss, wie sorgfältig diese Missionarien gewesen, alles Merkwürdige in China aufzuzeichnen und ihrem Hofe zu berichten ; man weiss, wie beredt sie zum theil erzählen, sie gerne sie ausschmücken. Sie beschreiben sehr ausführlich die Beschaffenheit des Erdreichs, des Ackerbaues, der Gartengewächse und aller Früchte. Und doch bei den nächsten Veranlassungen, von den Lustgärten zu reden, schweigen sie entweder ganz, oder geben uns nur einige flüchtige Anzeigen, die nichts weniger, als den stolzen Begrif erregen, den man von den Wundern der chinesischen Gärten hat. Indessen ist es Chambers, Architect des Königs von England, dem man die verführerische Beschreibung der chinesischen Gärten und die algemeine Verbreitung ihres Ruhms verdankt. Dieser Mann, der Wissenschaft, Geschmack und Genie vereinigt, ragt unter allen Reisebeschreibern von China als der Lobredner der Gärten dieses Reichs hervor. Seine Beschreibung ist als die algemeine Quelle anzusehen, woraus alle übrige Schilderungen mit mehr oder weniger Abänderung und Zusätzen geschöpft sind. Die erste Nachricht gab der in seinem grössern Werke : Description of Chinese Buildings, etc. London. Fol. 1757 S. 14-19 zwar nur beiläufig, indem er sich vornehmlich mit den Gebäuden, Maschinen und Hausgeräthen der Chineser beschäftigt. Man lobte, man bewunderte den Geschmack der Gartenkunst, den Chambers den Chinesern beilegte ; man fing an, diesen Geschmack in England nachzuahmen. Ohne Zweifel war dieser Beifall den seine Beschreibung fand, eine Veranlassung mehr, dass er den ersten kurzen Entwurf in einer besondern Schrift : Dissertation on oriental Gardening. London 4. 1772 (deutsche Übersetzung. 8. Gotha 1775) weiter ausführte und darin Genie und Geschmack aufbot, um ein Gemälde zu liefern, das durch Schönheit und Mannigfaltigkeit nicht weniger, als durch Neuheit reitzte. Man ist sehr geneigt, einen Reisenden, der aus einem entfernten Welttheil komt, wohin ohnedies nur noch wenig Engländer gedrungen waren, erzählen zu hören ; man hört ihn desto aufmerksamer, je mehr er durch das Neue und Unerwartete sich der Bewunderung zu bemeistern weiss ; man hört ihn mit Zutrauen, wenn er als ein Mann von Verstand, und mit Vergnügen, wenn er als ein Mann von Geschmack erzählt. Chambers muste Eingang finden, wenn er gleich weniger die Wahrheit, als das Anziehende seiner Erzählung, auf seiner Seite hatte. Ich kan es mir vorstellen, wie ein Mann von weniger Talenten und Beobachtung, als Chambers, in einigen Gegenden von China verleitet werden kan, da Gärten zu sehen, wo keine sind. Nach dem Bericht des Comte sind einige fruchtbare Provinzen nicht allein mit vortreflichen Früchten, sondern auch mit anmuthigen Hügeln und Canälen erfült. Die Hügel sind in verschiedene Absätze und Stuffen vom Fusse bis zum Gipfel bearbeitet, aber blos in der Absicht, damit das Regenwasser sich überall vertheilen und das besäete Erdreich mit seinen Pflanzen nicht so leicht hinabreissen könne. Indessen gibt diese Gestalt, worin die Hügel gebildet werden, zuman wenn mehrere in einem Bezirk umherliegen, einen reizenden Anblick. Die Canäle, welche die Plänen durchschneiden, sind von einer ungemeinen Schönheit, sowohl des klaren und sanft dahin fliessenden Wassers, als auch der Einfassungen und Brücken wegen, womit sie bekleidet sind. Sie laufen gemeiniglich zwischen kleinen Erhöhungen auf beiden Seiten, die mit Steinen oder groben Marmorstücken eingefasst sind. Die über diese Canäle geführte Brücken, die zunächst zur Verbindung der Ländereigen dienen, sind von drei bis sieben Bögen, wovon der mittelste oder Hauptbogen gehr hoch ist, damit die Fahrzeuge darunter bequem hinwegfahren können. Die Gewölbe sind von grossen Stücken von Steinen erbauet, die Pfeiler aber so schmal, dass man in der Ferne glaubt, die Bögen schweben in der Luft. Man sieht solche Brücken von einer Strecke zur andern, und wenn, wie gewöhnlich, der Canal grade ist, so macht diese lange Reihe von Brücken eine Art von Allee, die ein prächtiges Ansehen hat. Der Hauptcanal der Provinz theilt sich zur Rechten und Linken in verschiedene kleiner, die sich wieder in eine Menge von Bächen zerschneiden, die an Städte und Dörfer hinlaufen, zuweilen Teiche und Seen bilden, wovon die angränzende Ländereien befruchtet werden. Dieses klare Wasser, hin und wieder in den Plänen vertheilt, mit Brücken verschönert, mit Fahrzeugen belegt, mit Dörfern untermischt, durch welche die Bäche bald hellschimmernd, bald dunkel beschattet ihren Lauf verfolgen, macht unstreitig eins der heitersten Gemälde von Landschaft. „Was würde noch werden, sagt Comte, wenn die Kunst, die oft in Frankreich die wildesten Gegenden durch die Pracht der Paläste, durch Gärten und Lusthayne verschönert, in diesen reichen Gefilden würksam würde, wo die Natur nichts gespart hat“ ? Eine solche Landschaft ist zwar kein Garten ; wie leicht kan sie aber nicht von einem Reisenden, der sich ganz den Entzückungen des Auges überlässt, dafür angenommen werden ? Indessen ist dis eben nicht der Fall, worin sich Chambers befindet. Er versichert, dass er sich bei den Chinesern genau nach den Grundsätzen erkundigt habe, denên sie bei der Anlage ihrer Gärten folgen. Wenn wir nicht glauben, dass er sich von falschen Nachrichten der Chineser hat blenden lassen, die so gern übertreiben, so gern alles, was ihre Nation betrift, vergrössern ; so lässt sich ein anderer Ausweg zur Erklärung dieser Sache entdecken. Chambers hatte in seinem Vaterlande bemerkt, dass man theils noch zu sehr der alten Manier anhing, theils bei den neuen Versuchen in Dürftigkeit an Erfindung und in manche Ausschweiffungen verfiel. Er sah es mit Verdruss, dass, da jede andere der schönen Künste so viele Lehrer hätte, die Gartenkunst allein verwaiset zurückbliebe, dass kein Mann für sie auffstand, der sie in ihre Rechte einsetzte. Er fand in seinem Verstand un in seiner Einbildungskraft Ideen, die er der Natur und Bestimmung der Gärten eigenthümlicher hielt, als die gewöhnlichen sind, denen man täglich folgte. Er glaubte, dass diese Ideen mehr Aufmerksamkeit erregen, mehr Aufnahme finden müsten, wenn sie einer entfernten Nation untergeschoben würden, die schon eine würkliche Anwendung davon gemacht hätte. Er hatte Klugheit genug, unter diese Ideen Zusätze zu mischen, die dem Nationalgeist der Chineser eigen sind. Kurz, er pflanzte brittische Ideen auf chinesischen Boden, um ihnen ein mehr auffallendes Ansehen zu geben und sie eindringender zu machen. Diese Vermuthung wird weniger gewagt scheinen, wenn man ausser allen dem, was oben von den Chinesern angeführt worden und woraus man keine vortheilhafte Begriffe von ihren Gärten zu ziehen veranlasst wird, noch die Beschreibung des Chambers selbst etwas näher betrachtet. Er fragt nicht, wo die herlichen Gärten, die er malt, liegen ; auch sagt er nicht, dass es Gärten des Kaisers oder dieser und jener Grossen sind. Er nennt sie ganz algemein chinesische Gärten, und scheint uns überreden zu wollen, dass es Gärten der Nation wären, Gärten, die eben so gewöhnlich in China angetroffen würden, als die Französischen in Europa. Demnächst gesteht er ausdrücklich, dass er weder mit der künstlichen, noch mit der simpeln Manier in der Gartenkunst zufrieden sei. Jene weiche zu ausschweiffend von der Natur ab, diese hingegen sei eine zu gewissenhafte Anhängerin derselben. Eine mit Urtheil unternommene Vereinigung beider Manieren würde eine dritte hervorbringen, die gewis vollkommener wäre, als diese beide. - Und diese Vereinigung hat er offenbar in der letzten ausführlichen Schrift von den chinesischen Gärten zur Absicht. Wenn jemand, sagt er ferner, kühn genug wäre, einen Versuch zu dieser Vereinigung zu machen, so würde er sich dem Tadel beider Partheien aussetzen, ohne eine oder die andere zu bessern, und sich dadurch selbst nachtheilig werden, ohns der Kunst einen Dienst zu leisten. Dem ohngeachtet aber könne es doch nicht undienlich seyn, das System eines fremden Volks bekannt zu machen. Er könne es mittheilen, ohne seine eigene Gefahr, und wie er hoffe, ohne sonst jemand zu beleidigen. – Diese Wendung des Chambers gibt seine Lage und Absicht nicht undeutlich zu erkennen. Ein grösserer Beweis ist die ganze Schrift selbst. Wenn man nicht annähme, dass Chambers seine Philosophie, seine Einsichten in die Künste und in das menschliche Herz, seine blühende Einbildungskraft und seinen feinen Geschmack den Chinesern geliehen hätte ; so würde man das, was er von ihren Gärten rühmt, mit so vielen zuverlässigen Nachrichten, die wir von diesem Reich und von dem Geist dieser Nation haben, unmöglich vereinigen können. Er ist freigebig mit Lobsprüchen, worauf sie auf keine Weise Anspruch machen dürfen. Wenn er gleich im Anfang sagt, dass ihre Gärtner nicht allein Botanisten, sondern auch Maler und Philosophen sind ; dass sie eine volkommene Kentnis des menschlichen Herzens und der Künste besitzen, durch welche die stärksten Empfindungen erregt werden können ; so ist dis eine so ungeheure Behauptung, als die nur gefunden werden kan. Auch wenn man hie und da die sinnreichsten Gemälde der Phantasie und die wunderbarsten Feenbezauberungen, die nicht von dem Würklichen abgezogen sind, auch wenn man verschiedene Widersprüche, da Verwirrungen der Einbildungskraft mit bedächtiger Wahl, mit richtigem Gefühl und seiner Beobachtung abwechseln, in der Beschreibung übersieht ; so gibt ihr ganzer Inhalt doch Beweis genug, dass Chambers, indem er die Grundsätze der chinesischen Gartenkunst zu erheben bemühet scheint, mehr bemühet ist, seine eigene vorzutragen. Wenn übrigens seiner Schrift die historische Wahrheit fehlt, so sol dadurch ihr Werth nicht herabgewürdigt werden. Sie bleibt immer als das Werk eines Mannes von viel Kentnis, Geschmack und Genie schätzbar und in einzelnen Stellen für die Gartenkunst wichtig ; immer eine angenehme Beschreibung eines nicht vorhandenen Gegenstandes, ein schönes Ideal, dem nichts weiter fehlt, als dass es vielleicht nie Würklichkeit haben wird. Es würde ein seltsames Misverständnis seny, wenn man glaubte, das Daseyn chinesischer Gärten überhaupt zweifelhaft machen wolte. In der That könte nichts seltsamer seyn. Meine Absicht ist blos, zu beweisen, dass China nicht solche Gärten hat, als Chambers beschreibt, als ein algemeines Vorurtheil rühmt, und eine getäuschte Nachahmungssucht nachzubilden versucht. So weit noch die Nachahmung gekommen ist, so weit ist sie auch mehr dem ideal eines Briten, als dem Muster eines Chinesers nachgegangen. Die Gärten in China können so wenig von dem Geist und dem Geschmack der Nation abweichend seyn, als irgend ein anderer Zweig der schönen Künste. Ausser dem, was einige andere Reisende bemerken, gibt Comte eine Nachricht von den chinesischen Gärten, die mitdem, was wir sonst von der Nation wissen, mehr übereinstimt und der Wahrheit näher zu treten scheint. Die Chineser, sagt er, sind noch nachlässiger in ihren Gärten, als in ihren Wohnungen ; sie haben in diesem Punkt Begriffe, die von den unsrigen sehr verschieden sind. Regelmässige Plätze anzulegen, Blumen zu pflanzen, Alleen und Hecken zu ziehen, würden sie für widersinnig halten. Das öfentliche Wohl erfordert, dass alles besäet sei, und ihr Privatinteresse, das mehr als die gemeine Wohlfahrt sie rührt, erlaubt ihnen nicht, das Angenehme dem Nützlichen vorzuziehen. Ihre Blumen ziehen sie so schlecht, dass man Mühe hat, sie wieder zu kennen. Man erblickt zwar in einigen Gegenden Bäume, die eine grosse Zierde in den Gärten geben würden ; allein sie verstehen nicht die Kunst, sie geschickt zu stellen. Anstatt der Früchte sind diese Bäume fast das ganze Jahr hindurch mit Blüten von lebhaftem Roth und Incarnat bedeckt ; pflanzte man davon Alleen, mit Pomeranzenbäumen untermischt, wie sehr leicht geschehen könte, so würde dies den schönsten Anblick von der Welt geben ; aber weil die Chineser nur selten spatzieren gehen, so sind Alleen nicht nach ihrem Geschmack. Ob sie gleich von der Anordnung und von der Kunst, wahre Verschönerungen anzubringen, nichts verstehen, so machen sie doch in ihren Gärten Aufwand. Sie bauen Grotten, sie führen kleine künstliche Hügel auf, sie bringen ganze Felsstücke dahin, die sie über einander aufhäufen, ohne eine andere Absicht, als blos die Natur nachzuahmen. Wenn sie demnächst so viel Wasser finden, als nöthig ist, um ihren Kohl und ihre übrigen Küchengewächse zu begiessen, so glauben sie, dass sie nichts mehr zu thun übrig haben. Der Kaiser hat Wasserkünste von der Erfindung der Europäer ; Privatpersonen aber begnügen sich mit ihren Teichen und Brunnen. – Die Pracht und der Aufwand, womit die Grossen umgeben sind, sobald sie öffentlich erscheinen, glänzt gar nicht auf ihr häusliches Leben und ihre Lustgärten zurück, worin nichts von den zauberischen Schönheiten, wovon man träumt, aber viel Dürftigkeit und geschmacklose Einfalt herscht, und die näher betrachtet weder etwas zu bewundern noch zu verwundern geben. Sekundärliteratur Susanne Müller-Wolff : William Chambers, der als entscheidender Wegbereiter des sentimentalen Landschaftsgartens gilt, blieb mit seiner Dissertation on Oriental gardening nicht ohne Einfluss auf Hirschfeld. Seine emphatisch vorgetragene Forderung an die Gartenkunst, nicht den Verstand, sondern umso intensiver das Gefühl anzusprechen, prägte die Sichtweise Hirschfelss. Dass Chambers zur Erreichung dieses Ziels den chinesischen Gartenstil favorisierte, behagte Hirschfeld weniger. Vor allem Gartenszenen von wildem und fürcherlichem Charakter, wie sie Chambers in seiner Schrift genüsslich ausmalt, stiessen bei Hirschfeld auf deutliche Ablehnung. Seine Schrift ist als Polemik gegen William Chambers aufzufassen : Die historische Herleitung der landschaftlichen Gartenkunst von den chinesischen Gärten wird darin ebenso in Frage gestellt wie die verbreitete Chinamode. Bei der Formulierung seiner Theorie konnte Hirschfeld an eine ästhetische Diskussion anknüpfen, die, angeregt durch die sensualistischen Einflüsse aus England und Frankreich, seit Anfang der 1770er Jahre auch in Deutschland das Naturschöne thematisierte und den sinnlichen Qualitäten der Natur einen eigenen Wirkungsraum zuwies. |