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“Russland und China” (Web, 1857)

Year

1857

Text

Marx, Karl. Russland und China. In : Marx, Karl. Über China [ID D19696].
Marx, Karl. Russia and China : http://www.marxists.org/archive/marx/works/1857/04/07.htm. (Marx17)

Type

Web

Contributors (1)

Marx, Karl  (Trier 1818-1883 London) : Philosoph, Politiker, Marxist, Publizist

Subjects

Communism / Marxism / Leninism / History : China - Russia

Chronology Entries (1)

# Year Text Linked Data
1 1857 Marx, Karl. Rußland und China.
In Hinsicht auf den Handelsverkehr mit China, dessen gewaltsame Ausdehnung Lord Palmerston und Louis Napoleon unternommen haben, hat augenscheinlich die Position, die Rußland einnimmt, nicht wenig Neid erregt. Es ist in der Tat sehr gut möglich, daß Rußland als Folge der bestehenden Auseinandersetzungen mit den Chinesen, ganz ohne Geldmittel zu verausgaben oder bewaffnete Kräfte einzusetzen, auf die Dauer mehr erreichen kann als die beiden kriegführenden Nationen.
Die Beziehungen Rußlands zum chinesischen Kaiserreich sind überhaupt von besonderer Art. Während den Engländern und den Amerikanern — denn hinsichtlich der Beteiligung an den Feindseligkeiten spielen die Franzosen kaum mehr als eine untergeordnete Rolle, da sie de facto keinen Handel mit China haben — nicht einmal das Privileg des direkten Verkehrs mit dem Vizekönig von Kanton zugestanden wird, genießen die Russen den Vorzug, eine Botschaft in Peking zu unterhalten. Zwar soll dieser Vorzug nur durch das Zugeständnis erkauft worden sein, daß Rußland eingewilligt hat, sich am Himmlischen Hof zu den tributpflichtigen Vasallenstaaten des chinesischen Kaiserreichs zählen zu lassen. Doch wird es dadurch der russischen Diplomatie immerhin möglich, sich ebenso wie in Europa auch in China einen festen Einfluß zu verschaffen, der keinesfalls auf eine rein diplomatische Tätigkeit beschränkt ist.
Da die Russen vom Seehandel mit China ausgeschlossen sind, sind sie an früheren oder bestehenden Streitereien über diesen Gegenstand weder beteiligt noch in sie verwickelt; auch sind sie jener Abneigung entgangen, mit der die Chinesen seit undenklichen Zeiten allen Ausländern begegneten, die sich ihren Küsten näherten und die sie — nicht ganz ohne Grund — mit den verwegenen Piraten auf eine Stufe stellten, die seit je die Küsten Chinas unsicher gemacht zu haben scheinen. Doch als Entschädigung für diesen Ausschluß vom Seehandel erfreuen sich die Russen eines Binnen- und Überlandhandels, der ihnen allein vorbehalten ist, und es scheint nicht im Bereich des Möglichen zu liegen, daß sie auf diesem Gebiet Konkurrenz bekommen werden. Der wichtigste, wenn nicht überhaupt der einzige Umschlagplatz für diesen Handelsverkehr, der im Jahre 1787 unter der Herrschaft Katharinas II. durch einen Vertrag geregelt wurde, ist der Ort Kjachta, der an der Grenze zwischen Südsibirien und der chinesischenTatarei an einem Zufluß des Baikalsees, etwa hundert Meilen südlich der Stadt Irkutsk liegt. Dieser Handel, der sich auf einer Art Jahrmarkt abspielt, wird von zwölf Faktoren besorgt — sechs Russen und sechs Chinesen —, die in Kjachta zusammenkommen und, da der Handel ausschließlich durch Tausch erfolgt, das Verhältnis festsetzen, zu dem die von jeder Seite angebotene Ware ausgetauscht werden soll. Die wichtigsten Handelsartikel sind auf chinesischer Seite Tee und auf russischer Seile Baumwoll- und Wollstoffe. In den letzten Jahren hat dieser Handel anscheinend erheblich zugenommen. Vor zehn bis zwölf Jahren wurden den Russen in Kjachta im Durchschnitt nicht mehr als vierzigtausend Kisten Tee verkauft; 1852 waren es jedoch einhundertundfünfundsiebzigtausend Kisten, wobei der größte Teil von jener vorzüglichen Qualität war, die dem kontinentalen Verbraucher als Karawanentee wohlbekannt ist, im Unterschied zu der geringeren Qualität, die auf dem Seewege eingeführt wird.
Weiter verkauften die Chinesen kleinere Mengen Zucker, Baumwolle, Rohseide und Seidenwaren, aber alles in sehr beschränktem Umfang. Die Russen zahlten zu etwa gleichen Teilen in Baumwoll- und Wollwaren; hinzu kamen noch kleinere Mengen russisches Leder, Metallwaren, Pelze und sogar Opium. Der Gesamtwert der gekauften und verkauften Waren, der in den veröffentlichten Berichten zu sehr mäßigen Preisen eingesetzt zu sein scheint, erreichte die hohe Summe von über fünfzehn Millionen Dollar. Infolge der inneren Unruhen in China und der Besetzung der Straße aus den Teeprovinzen durch Banden plündernder Rebellen fiel im Jahre 1853 die nach Kjachta beförderte Teemenge auf fünfzigtausend Kisten, und der Gesamtwert des Handelsgeschäfts betrug in diesem Jahre nur etwa sechs Millionen Dollar. In den beiden folgenden Jahren jedoch belebte sich diese Handelstätigkeit wieder, und 1855 wurden nicht weniger als hundertzwölftausend Kisten Tee zum Jahrmarkt nach Kjachta gebracht.
Durch das Ansteigen dieses Handels ist Kjachta, das im russischen Grenzgebiet liegt, von einem bloßen Fort und Marktflecken zu einer ansehnlichen Stadt angewachsen. Es wurde zur Hauptstadt jenes Teils des Grenzgebiets erklärt und soll dadurch ausgezeichnet werden, daß es einen Militärkommandanten und einen Zivilgouverneur bekommt. Gleichzeitig ist kürzlich eine direkte und regelmäßige Postverbindung zur Übermittlung offizieller Depeschen zwischen Kjachta und dem etwa neunhundert Meilen davon entfernten Peking hergestellt worden.
Es ist klar, daß die Versorgung Europas mit Tee, falls die augenblicklichen Feindseligkeiten zu einer Einstellung des Seehandels führen sollten, ausschließlich auf diesem Wege erfolgen könnte. Es wird sogar darauf hingewiesen, daß, selbst wenn der Seehandel bestehen bleibt, Rußland nach Ausbau seines Eisenbahnnetzes in der Versorgung der europäischen Märkte mit Tee zu einem starken Konkurrenten der seefahrenden Nationen werden kann. Diese Eisenbahnlinien werden eine direkte Verbindung zwischen den Häfen von Kronstadt und Libau und der alten Stadt Nishni-Nowgorod im Innern Rußlands herstellen, dem Wohnsitz der Kaufleute, die den Handel in Kjachta betreiben. Die Versorgung Europas mit Tee auf diesem Überlandwege ist jedenfalls einleuchtender als die Verwendung unserer projektierten pazifischen Eisenbahn zu diesem Zweck. Auch Seide, der andere Hauptausfuhrartikel Chinas, nimmt im Verhältnis zu ihren Herstellungskosten so wenig Platz ein, daß ihr Transport auf dem Landwege keineswegs unmöglich ist, während den russischen Fabrikaten durch diesen Handel mit China ein Markt eröffnet wird, wie sie ihn sonst nirgends
fänden.
Wir können jedoch beobachten, daß die Bemühungen Rußlands keineswegs auf die Erweiterung dieses Binnenhandels beschränkt sind. So nahm es schon vor einigen Jahren die Gebiete am Amur in Besitz, das Ursprungsland der jetzt in China herrschenden Dynastie. Seine Bemühungen in dieser Richtung erfuhren während des letzten Krieges eine gewisse Einschränkung und Unterbrechung, werden jedoch zweifellos wieder aufgenommen und energisch weitergeführt werden. Rußland ist im Besitz der Kurilen und der benachbarten Küsten von Kamtschatka. Es unterhält bereits eine Flotte in jenen Gewässern und wird zweifellos jede sich bietende Gelegenheit benutzen, ebenfalls am Seehandel mit China teilzuhaben. Dies ist jedoch von geringerer Bedeutung für Rußland, verglichen mit der Ausdehnung jenes Überlandhandels, dessen Monopol es besitzt.

Marx, Karl. Russia and China.
In the matter of trade and intercourse with China, of which Lord Palmerston and Louis Napoleon have undertaken the extension by force, no little jealousy is evidently felt of the position occupied by Russia. Indeed, it is quite possible that without any expenditure of money or exertion of military force Russia may gain more in the end, as a consequence of the pending quarrel with the Chinese, than either of the belligerent nations.
The relations of Russia to the Chinese Empire are altogether peculiar. While the English and ourselves — for in the matter of the pending hostilities the French are but little more than amateurs, as they really have no trade with China — are not allowed the privilege of a direct communication even with the Viceroy of Canton, the Russians enjoy the advantage of maintaining an Embassy at Peking. It is said, indeed, that this advantage is purchased only by submitting to allow Russia to be reckoned at the Celestial Court as one of the tributary dependencies of the Chinese Empire. Nevertheless it enables Russian diplomacy, as in Europe, to establish an influence for itself in China which is by no means limited to purely diplomatic operations. Being excluded from the maritime trade with China, the Russians are free from any interest or involvement in past or pending disputes on that subject; and they also escape that antipathy with which from time immemorial the Chinese have regarded all foreigners approaching their country by sea, confounding them, and not entirely without reason, with the piratical adventurers by whom the Chinese coasts seem ever to have been infested. But as an indemnity for this exclusion from the maritime trade, the Russians enjoy an inland and overland trade peculiar to themselves, and in which it seems impossible for them to have any rival. This traffic, regulated by a treaty made in 1787, during the reign of Catharine H., has for its principal, if not indeed its sole seat of operations, Kiachta, situate on the frontiers of southern Siberia and of Chinese Tartary, on a tributary of the Lake Baikal, and about a hundred miles south of the city of Irkutsk. This trade, conducted at a sort of annual fair, is managed by twelve factors, of whom six are Russians and six Chinese, who meet at Kiachta, and fix the rates — since the trade is entirely by barter — at which the merchandise supplied by either party shall be exchanged. The principal articles of trade are, on the part of the Chinese, tea, and on the part of the Russians, cotton and woollen cloths. This trade, of late years, seems to have attained a considerable increase. The quantity f tea sold to the Russians at Kiachta, did not, ten or twelve years ago, exceed an average of forty thousand chests; but in 1852 it amounted to a hundred and seventy-five thousand chests, of which the larger part was of that superior quality well known to continental consumers as caravan tea, in contradistinction from the inferior article imported by sea. The other articles sold by the Chinese were some small quantities of sugar, cotton, raw silk and silk goods, but all to very limited amounts. The Russians paid about equally in cotton and woollen goods, with the addition of small quantities of Russian leather, wrought metals, furs and even opium. The whole amount of goods bought and sold — which seem in the published accounts to be stated at very moderate prices-reached the large sum of upward of fifteen millions of dollars. In 1857 owing to the internal troubles of China and the occupation of the road from the tea provinces by bands of marauding rebels, the quantity of tea sent to Kiachta fell off to fifty thousand chests, and the whole value of the trade of that year was but about six millions of dollars. In the two following years, however, this commerce revived, and the tea sent to Kiachta for the fair Of 1855 did not fall short of a hundred and twelve thousand chests.
In consequence of the increase of this trade, Kiachta, which is situated within the Russian frontier, from a mere fort and fair-ground, has grown up into a considerable city. It has been selected as the capital of that part of the frontier region, and is to be dignified by having a military commandant and a civil governor. At the same time a direct and regular postal communication for the transmission of official dispatches has lately been established between Kiachta and Peking, which is distant from it about nine hundred miles.
It is evident that, should the pending hostilities result in suppression of the maritime trade, Europe might receive it entire supply of tea by this route. Indeed, it is suggested that even with the maritime trade open, Russia, may, upon the completion of her system of railroads, become a powerful competitor with the maritime nations for supplying the European markets with tea. These railroads will supply direct communication between the ports of Cronstadt and Libau and the ancient city of Nijni Novgorod in the interior of Russia, the residence of the merchants by whom the trade at Kiachta is carried on. The supply of Europe with tea by this overland route is certainly more probable than the employment of our projected Pacific Railroad for that purpose Silk, too, the other chief export of China, is an article of such small bulk in comparison to its cost, as to make its transportation by land by no means impossible; while this Chines traffic opens an outlet for Russian manufactures, such as it cannot elsewhere attain.
We may observe, however, that the efforts of Russia are by no means limited to the development of this inland trade. It is several years since she took possession of the banks of the River Amur, the native country of the present ruling race in China. Her efforts in this direction received some check an interruption during the late war, but will doubtless be revive and pushed with energy. She has possession of the Kuril Islands and the neighbouring coasts of Kamchatka. Already she maintains a fleet in those seas, and will doubtless improve any opportunity that may offer to obtain a participation in the maritime trade with China. This, however, is of little consequence to her compared with the extension of that overland trade of which she possesses the monopoly.