Schelling, Friedrich Wilhelm Joseph von. Philosophie der Mythologie [ID D11898].
23. und 24. Vorlesung Berlin 1842 und 1845/46.
Die chinesische Schrift besteht nämlich nicht, wie die Buchstabenschrift, aus Bildern, welche die Aussprache einzelner Töne oder Laute bezeichnen, sondern aus Bildern, welche die durch die Worte bezeichneten Gegenstände selbst darstellen. Wir haben hier also wieder zwei einander entgegenstehende Schriftarten, und es ist natürlich zu erwarten, daß diese Schriftarten sich ebenso zueinander verhalten werden, wie sich die Sprachen verhalten, denen jede derselben eigen ist. Ich will dabei nur zum voraus gestehen, daß ich an den neueren Untersuchungen über den Ursprung und das Alter der Buchstabenschrift, zu denen besonders Wolf durch seine Kritik des Homer Veranlassung gegeben hat, kein großes Gefallen finden kann. Mir scheint, daß gleich, sowie die Unveränderlichkeit der Ursprache zu verschwinden anfing, sobald die bisher gebundenen Elemente lebendig wurden, und, um alle Bestimmungen des Gedankens abzudrücken, sich in sich selbst organisch veränderten, ja bis zur Unkenntlichkeit verwandelten, Buchstabenschrift nothwendig war, so daß also die erste Erfindung der Buchstabenschrift so alt ist als jene Krisis, durch welche die polysyllabischen, organischer Veränderungen in sich selbst fähigen Sprachen entstanden.
Es ist dabei als etwas Verkehrtes anzusehen, wenn man die Buchstabenschrift selbst wieder von der hieroglyphischen ableiten will, inwiefern man nämlich unter Hieroglyphen nicht überhaupt nur Bilder sich vorstellt. In diesem Fall ist es wohl nicht zu bezweifeln, daß neben der einfachsten Art einzelne Laute zu bezeichnen, wie sie in der Keilschrift wahrzunehmen ist, sobald nur das Talent sichtbare Gegenstände nachzuahmen sich äußerte, die Laut-Zeichen bildliche, und in diesem Sinn hieroglyphische wurden, wobei es natürlich war, daß man einen Laut durch Abbildung desjenigen Gegenstandes zu bezeichnen suchte, in dessen Benennung dieser Laut der hervorstechendste war, und da der hervorstechendste Laut immer der erste oder Anfangslaut ist, so war es natürlich, daß man die bildliche Bezeichnung eines Lauts von einem Gegenstand hernahm, dessen gewöhnliche Benennung mit eben diesem Laut anfing. In diesem Sinn kann man die hebräischen Schriftzeichen gar wohl abgekürzte Hieroglyphen nennen. Der Laut B heißt hebräisch beth, das Haus, und die rohe abgekürzte Abbildung eines orientalischen, auf der linken, d.h. auf der Nordseite offenen Hauses ist auch das Zeichen, womit der Laut angezeigt wird. Sehen heißt im Hebräischen Zahn, und mit dem Bild eines Backzahnes wird auch der Laut Seh in der hebräischen Schrift ausgedrückt. Um so leichter war von hier der Uebergang zur Erklärung der ägyptischen Hieroglyphen nach einem analogen System, worauf nämlich die Entdeckung von Champollion hauptsächlich beruht.
In diesem Sinn also könnte man etwa und zum Theil wenigstens die Lautzeichen der ältesten Schriftarten von Hieroglyphen ableiten.
Versteht man aber unter den Hieroglyphen eine Gedankenschrift, oder vielmehr eine die Gegenstände selbst bezeichnende Schrift, so sind beide so entgegengesetzter Natur, daß man unmöglich die eine von der andern ableiten kann. In einer Sprache, wo das einzelne Wort nichts gilt, konnte eigentlich das Wort auch nicht geschrieben werden. Dagegen mußte die Tendenz einer Sprache, alle Gedankenbestimmungen an dem Wort selbst auszuprägen, ungemein erleichtert und befördert werden durch die Möglichkeit, den flüchtigsten Hauch, jede feinste Nuance des flexibel gewordenen Organs durch ein eignes Zeichen festzuhalten, besonders nachdem erst auch die Vocale durch eigne Zeichen ausgedrückt wurden, die in den semitischen (ihrem substantiellen Charakter nach dissyllabischen), und, wie es scheint, auch in der ägyptischen Sprache, noch fehlten, dagegen aber in den Sprachen, die zu dem persischindisch-griechischen Stamme gehören, wie es scheint, von jeher gebräuchlich waren. Durch die Buchstabenschrift wurde die Sprache gleichsam beflügelt, zur höchsten Volubilität, Flüchtigkeit und Veränderlichkeit befähigt. Die einzige Sprache, in welcher sich das Gesetz der Urzeit und der Ursprache erhalten, mußte also, um sich in ihrer reinen Wesentlichkeit, Substantialität und Innerlichkeit zu bewahren, dieses Mittel zurückweisen. Ihr ziemte nur Charakter-, nicht Buchstabenschrift zu seyn.
Uebrigens hat man, wie früher in den ägyptischen Hieroglyphen, ebenso in den chinesischen Schriftzeichen lange Zeit eine gewisse Heiligkeit und eine tiefmystische Grundlage gesucht. Es gehört mit zu dem Glück unserer Zeit, daß so manche Phantome verschwunden sind. Man kann den neueren Entdeckungen und Ansichten nicht genug danken, welche uns gelehrt haben, die ägyptischen Hieroglyphen, an welchen der falsche Tiefsinn erfindungsarmer Köpfe vergebens sich abmühte, ebenso wie die chinesische Schrift, einfacher und gelassener anzusehen. Man hat nämlich in dem System der chinesischen Schrift die größten wissenschaftlichen Geheimnisse gesucht; nicht bloß der bekannte Athanasius Kircher, dem man mit dem Prädicat eines Phantasten gewiß nicht zu nahe tritt, sondern selbst Fourmont war auf solche Weise von der chinesischen Schrift bezaubert, daß letzterer in den 214 sogenannten Schlüsseln der chinesischen Schriftzeichen, die aber von den Lexikographen im Grunde ganz willkürlich angenommen sind, die hieroglyphischen oder repräsentativen Zeichen aller menschlichen Fundamentalideen zu sehen glaubte, wobei es vor allem nicht leicht seyn möchte zu sagen, warum es gerade 214 Fundamentalideen, nicht mehr und besonders nicht weniger, gebe. Es gibt der wahren Geheimnisse genug, man braucht sich keine willkürlichen zu erschaffen und speculative Ideen da zu suchen, wo die gewöhnlichen Mittel ausreichen. Allerdings hat die chinesische Schrift einen eignen Reiz, und es ist unmöglich in irgend einer Sprache zugleich die Wirkung dieser malerischen Charaktere wiederzugeben, welche, statt der an sich unfruchtbaren und bloß willkürlichen Zeichen der Pronunciation, die Gegenstände selbst dargestellt vor Augen bringen. Uebrigens deutet die Wahl der Charaktere sehr oft auf nichts weniger als sehr tiefe Ideen; z.B. wenn der Begriff Glückseligkeit durch einen Zug ausgedrückt wird, in welchem ein offener Mund und eine mit Reis gefüllte Hand vereinigt sind, so sieht man wohl, worein hier die Glückseligkeit gesetzt wird. Andere Verbindungen gehen ganz ins Triviale, wie denn der Charakter, welcher eine Person weiblichen Geschlechts bedeutet, zweimal nebeneinander gestellt Zank und Streit, dreimal wiederholt völlige Unordnung bedeutet. In der Wahl solcher bildlichen Darstellungen verschwindet doch alle Spur von Notwendigkeit.
Die chinesische Schrift an sich ist eine nothwendige Folge der Beschaffenheit ihrer Sprache, und niemals könnte ich umgekehrt mit Abel Remusat annehmen, die Chinesen seyen darum, weil sie sich außer Stand gesehen, die verschiedenen Combinationen von Lauten, die sich ihnen darbieten konnten, durch Buchstaben zu malen oder auszudrücken, also eigentlich der engen Schranken ihrer Schrift wegen seyen sie bei den wenigen zahlreichen Lauten, die sie in der ersten Zeit gehabt haben, bei jenen, wie er sagt, sehr kurzen oder gar monosyllabischen Wörtern stehen geblieben.
Wenn diese Erklärung etwas erklären sollte, so müßte man zugleich voraussetzen, daß die Schrift noch vor dem Anfang der Cultur, d.h. noch während der Fortdauer jenes barbarischen Zustandes, erfunden worden, aus dem man die Beschaffenheit der Sprache ableitet. Wer aber möchte wohl voraussetzen, daß ein in dem Grad, als hier angenommen wird, beschränktes Volk schon eine Schrift und zwar eine so künstliche gehabt habe? Es liegt in der Natur der Sache, daß die Schrift überall nur als Mittel und in der Abhängigkeit von der Sprache erscheint, und es ist gegen die Natur, dem bloßen Mittel, der Schrift, eine solche Rückwirkung auf die Sprache zuzuschreiben. Weit einleuchtender ist offenbar das umgekehrte Verhältniß anzunehmen, daß nämlich durch die Beschaffenheit der Sprache die Art der Schrift bestimmt ist. In der chinesischen Sprache ist das Wort selbst nicht zu jener Selbständigkeit gelangt, welche allein auffordern kann, das Wort als Wort darzustellen, was eben in der Buchstabenschrift geschieht. An dem chinesischen Wort hat man nichts Accidentelles auszudrücken. Das Wort ist noch zu innerlich, um Gegenstand der Reflexion und der Darstellung zu seyn. Hier bleibt also keine andere sichtbare Darstellung, als die der Sache, des Gegenstandes, des Gedankens selbst übrig. Ferner erklärt die Beschaffenheit der chinesischen Sprache auch die Beibehaltung der chinesischen Schrift. Bei der großen Einförmigkeit des materiellen Theils der chinesischen Sprache, die auf eine verhältnismäßig kleine Anzahl sehr kurzer und darum selbst untereinander nicht auffallend unterschiedener Grundlaute beschränkt ist; bei dieser Einförmigkeit ist es unvermeidlich, daß manche Sylben, die gebräuchlicher als andere sind, bis an dreißig oder vierzig verschiedene Ideen oder Gegenstände ausdrücken. Wird nun der Gegenstand selbst dargestellt, so ist kein Zweifel, welche von den dreißig- oder vierzigerlei Bedeutungen z.B. der Sylbe Li oder La gemeint sey, während dem mit Buchstaben geschriebenen Wort nicht anzusehen seyn würde, welche dieser Bedeutungen beabsichtigt worden, es wäre denn, daß man zu den Lautzeichen noch figurative, d. h. den Gegenstand selbst abbildende, hinzufügte. Wenn man aber einmal diese zuläßt, so kann man sich die Buchstaben oder Lautzeichen ganz ersparen.
Ich kehre also auf meine Behauptung zurück: die chinesische Schrift ist an sich eine nothwendige Folge der Beschaffenheit der Sprache. Aber die Erfindung dieser Schrift braucht darum in keine höhere Vergangenheit gesetzt zu werden, als in welche auch schon die Entstehung der Buchstabenschrift sich setzen läßt, und in kein höheres Alter-thum, als die großentheils willkürliche und conventionelle Beschaffenheit dieser Schriftzeichen ihnen zuzuschreiben erlaubt.
Indem ich von dem Alterthum der chinesischen Schrift gesprochen, ist es wohl ein natürlicher Uebergang, wenn ich noch einige allgemeine historische Bemerkungen beifüge über die Stellung der chinesischen Nation im Ganzen der Menschheit und der Völker.
China ist im Grunde selbst jetzt noch, wo es gegen Norden und Westen von der englischen Herrschaft und der Rußlands berührt wird, ein von der übrigen Welt fast vollkommen abgesonderter Theil der Erde. Im fernen abgelegenen Osten Asiens hat sich seit undenklicher Zeit dieser Theil der Menschheit erhalten, der im Vergleich mit den andern, näheren und ferneren Völkern wirklich eine andere und zweite Menschheit bildet. Von den 1000 Millionen, welche die ganze Erde bevölkern sollen, fallen 300 auf China. Während das übrige Menschengeschlecht, wie es gegen Westen und Norden fortschreitet, auf dem ganzen Weg, den die Cultur genommen, sich mehr und mehr in Völker zersplittert, stellt im äußersten Osten Asiens China eine compakte Masse vor, deren Größe und Gediegenheit, wie ihre innere Abgeschiedenheit und Unähnlichkeit, erlaubt, sie im Gegensatz der ganzen übrigen zerstreuten Menschheit als eine zweite Menschheit anzusehen.
Man hat über den Ursprung oder die Herkunft der Chinesen verschiedene Hypothesen aufgestellt. Nach dem Gesichtspunkt früherer Zeiten kann man den Missionarien zu gut halten, wenn sie die Chinesen von Einem Stamm mit Hebräern und Arabern hielten, oder zu halten wenigstens vorgaben. In der That, von allem, was die Literatur der ältesten Völker aufzuweisen hat, steht die Denkweise und selbst der Styl der alltestamentlichen Schriften den chinesischen ältesten Monumenten am nächsten. Nach unserer Erklärung der Entstehung des chinesischen Volks und seiner Eigenthümlichkeit kann uns dieß nicht befremden. Diese Uebereinstimmung, soweit sie stattfindet, ist ganz natürlich. Eine spätere Hypothese war die, welche sie für Tartaren erklärt, die von den Anhöhen des Imans herabgekommen. Die neueste ist die, welche sie aus Indien herleitet. W. Jones erklärt sie für Indier von der Kriegerklasse, die, die Privilegien ihres Stammes aufgebend, in verschiedenen Haufen nach dem Nordosten von Bengalen zogen, und stufenweis die Gebräuche und die Religion ihrer Vorväter vergessend, besondere Herrschaften errichteten, die sich endlich zu dem Gesammtreich China vereinigten. Diese Meinung scheint die Meinung der Indier selbst zu seyn, wenigstens behauptet man, daß in dem Gesetzbuch Menüs eine Stelle vorkomme des Inhalts: Eine Anzahl Familien von der Klasse der Krieger, nachdem sie stufenweis die Vorschriften der Vedas verlassen, leben in einem Zustand von Herabwürdigung wie das Volk — hier werden dann nacheinander mehrere Völkernamen genannt und unter anderm auch der Chinas. Hoffentlich hat W. Jones, der diese Stelle anführt, den Namen Chinas (als Völkername) nicht statt Dschainas gelesen. Uebrigens haben von jeher alle Völker die Herkunft der anderen Völker von ihrem Standpunkt aus zu erklären sich bemüht, und selbst die durch Sitten und der Denkweise nach fremdesten Völker mit sich in Verbindung zu bringen gesucht. Eigentlich aber kann für jeden, welcher nur sein Auge nicht für das chinesische Wesen verschließt, nichts unzweifelhafter seyn, als daß das sogenannte chinesische Volk ein von Anfang, vom Anbeginn der Geschichte schon abgesonderter Theil der Menschheit ist, der eben auch darum von jeher seinen gegenwärtigen Wohnplatz inne hatte, und fast aller Theilnahme an dem Proceß, der die übrige Menschheit erschütterte und bewegte, sich entzog. Wenn chinesische Tradition den Urmenschen selbst für den Stifter ihres Reichs angeben, von welchem sie sagen, sie wissen gar nicht, wann seine Existenz begonnen habe, wenn sie auf diese Art den Anfang des Menschengeschlechts und ihres Reichs gleichsam der Zeitlichkeit entrücken, und beide als von Ewigkeit seyend vorstellen, so drückt sich darin, sowie in den Millionen von Jahrhunderten ihrer fabelhaften Zeitrechnung, nichts anderes als die bewußte Ueberzeugung aus, daß die Geschichte für sie mit dem Anfang ihres Reichs begonnen, daß ihr Reich nicht ein Erzeugniß der Geschichte, sondern ein im Anfang der Geschichte dagewesenes sey, und darin müssen wir ihnen nach dem Sinn unserer ganzen Erklärung völlig beistimmen. Man könnte aber die Frage aufwerfen, warum, wenn wir das Alter des chinesischen Reichs selbst in den Anfang der Geschichte setzen, warum wird denn nicht unsere Entwicklung mit China angefangen haben; denn fast allem, was sich Philosophie der Geschichte betitelt, ist jetzt nach dem Vorgang einer Philosophie, die in ihren Formen selbst etwas chinesisch ist, China der Anfang. Allein wenn das, womit sich wirklich anfangen läßt, nur etwas seyn kann, von dem sichfortschreiten läßt, das den Grund einer nothwendigen und natürlichen Fortschreitung enthält, so sieht man leicht, daß mit China, das vielmehr eine Negation der Bewegung ist, nicht sich anfangen läßt, daß man von einem solchen Anfang nicht weiter zu kommen, also eigentlich auch nicht anzufangen vermag. China liegt nur insofern im Anfang aller Geschichte, als es sich aller Bewegung versagt hat. Zwar der Zustand der Menschheit, wie wir ihn vor aller Geschichte gedacht, ist in dem Zustand der chinesischen Menschheit festgehalten, aber er ist in ihm nur als ein erstarrter, und eben auch darum nicht mehr in seinem ursprünglichen Sinn festgehalten. Das chinesische Bewußtseyn ist nicht mehr der vorgeschichtliche Zustand selbst, sondern ein todter Abdruck, gleichsam eine Mumie desselben. Aus demselben Grunde, weil es nicht der vorgeschichtliche Zustand selbst, sondern der fixirte, dadurch aber zugleich in seiner Bedeutung veränderte ist, eben deßwegen kann man auch nicht sagen, China sey das Aelteste. Das Aelteste ist wohl in ihm, aber erstarrt, und das erstarrte Aelteste ist nicht mehr das wirkliche Aelteste; insofern ist, wenn man von Volk sprechen will, das chinesische Volk nicht älter als derjenige Theil der Menschheit, in welchem sich dieser ursprüngliche Zustand fortschreitend verwandelt hat. Zu derselben Zeit und nicht eher, als die anderen asiatischen Völker den Weg des mythologischen Processes zu betreten anfingen, versagte sich ihm der Theil der Menschheit, welcher jetzt als chinesisches Volk erscheint; aber eben darum ist das chinesische Volk als solches, als das, in welchem der ursprüngliche Zustand sich fixirt hat, nicht älter als z. B. die Babylonier, wenn gleich das, was in ihm sich fixirt hat, allerdings das Aelteste ist. Aber das, was in dem Bewußtseyn der Babylonier und der andern Völker als verwandelt erscheint, ist auch das Aelteste: auf der einen Seite ist nur das fixirte, auf der andern das lebendig verwandelte Aelteste. Es ist leicht von einer solchen Negation wie China anzufangen, aber nur auf höchst queren und krummen Wegen läßt sich von ihm aus ein weiterer Zusammenhang finden. Es muß nun vielmehr im Gegentheil einleuchten, daß die richtige und einzig angemessene Stellung für China diejenige ist, welche ihm in dieser Entwicklung angewiesen worden.
In manchen auch allgemeinen Darstellungen der Mythologie wird China ganz übergangen; z.B. in Creuzers übrigens so umfassendem Werk wird Chinas mit keinem Wort gedacht; insofern ganz richtig, als China keine Mythologie hat. Aber es hat nicht nur keine, sondern es stellt auf gewisse Weise die der Mythologie entgegengesetzte Seite dar. Da nun die Mythologie auf jeden Fall eine excentrische, nach Einer Seite gehende Bewegung ist, die insofern nothwendig einen Gegensatz fordert, so verlangt es die Totalität oder Allseitigkeit der Weltentwicklung, daß dieser Gegensatz wirklich da sey (existire), die Totalität der Darstellung, daß man diesen Gegensatz nicht ausschließe, sondern ihm allerdings auch eine Stelle in der Betrachtung gönne, gleichsam um der positiven Seite ein Gegengewicht zu geben. Wenn aber einmal von einer wissenschaftlichen Entwicklung der Mythologie China nicht auszuschließen ist, so kann ihm keine andere als die von uns angewiesene Stelle gegeben werden. Denn das chinesische Wesen verhält sich, wie gesagt, negativ gegen den mythologischen Proceß, und zwar noch in einem ganz andern Sinne, als dieß auch etwa von der persischen Lehre und von dem Buddismus gesagt werden kann. Denn jene hält den mythologischen Proceß in seiner Bewegung an, das chinesische Bewußtseyn aber kommt dieser Bewegung zuvor. Das chinesische Bewußtseyn kennt nur den absolut-Einen, nicht wie die persische Lehre das Zwei-Eine. Von dem Buddismus ist es ohnedieß klar, daß er im Schooße der Mythologie selbst sich erzeugt hat, daß er eine Formation ist, die ohne den mythologischen Proceß gar nicht gedacht werden könnte. Wenn nun aber das chinesische Wesen nicht in die Mythologie selbst hereinfällt, sondern völlig außer der Mythologie als ihr reiner Gegensatz steht und zur Mythologie sich als ihre absolute Negation verhält, so ist klar, daß, weil jede Negation nur Sinn hat als Negation des ihm entgegenstehenden Positiven und durch dieses selbst erst einen Inhalt erhält, daß auch von jener Negation, die im chinesischen Bewußtseyn gesetzt ist, nicht eher die Rede seyn kann, als nachdem das Positive vorhanden und entwickelt ist. Daraus also erhellt, daß die rechte Stelle für das Verständniß des chinesischen Wesens erst da ist, wo der ganze Inhalt der Mythologie schon vorliegt, also etwa am Ende der asiatischen Entwicklung und da, wo die Mythologie nun schon im Begriff steht den Orient zu verlassen und in die Abendlande überzugehen. Das chinesische Wesen steht nicht Einem Moment des mythologischen Processes, sondern dem Ganzen entgegen. Aber eben darum kann da, wo eine Darstellung des ganzen Processes beabsichtigt ist, die Darstellung des Gegensatzes nicht fehlen. Inzwischen werden am Schlusse dieser Untersuchung über China, und nachdem wir insbesondere erklärt haben, daß das religiöse Princip hier nur als ein ganz veräußerlichtes und verweltlichtes existire, werden nun übrigens diejenigen, welche gleichwohl von der Existenz mehrerer Religionssysteme in China gehört haben, zu wissen verlangen, wie sich diese zu dem von uns angenommenen Grund des chinesischen Wesens, und wie sie sich zueinander verhalten.
Gewöhnlich spricht man von drei gegenwärtig in China herrschenden Religionssystemen: 1) der Religion des Cong-fu-tsee oder, wie er gewöhnlich heißt, des Confucius; 2) der Lehre oder Religion des Lao-tsee [Laozi] oder, wie er gewöhnlich genannt wird, Tao-sse; und endlich 3) dem Buddismus.
Es wäre eine irrige Vorstellung, wenn man sich den Cong-fu-tsee als Stifter, sey es einer Philosophie oder einer Religion, denken wollte. Die Schriften des Confucius enthalten in der That nichts anderes als die ursprünglichen Grundlagen des chinesischen Reichs, und weit entfernt ihn als einen Neuerer betrachten zu können, ist er vielmehr derjenige, der in einem, wie es scheint, sehr bewegten Moment, in einer Zeit, wo die alten Grundsätze schwankend geworden zu seyn scheinen, sie wieder aufrichtete und auf ihrem alten Fundament befestigte. Es ist daher eine sehr unhistorische Vergleichung, wenn ein neuerer Schriftsteller vermeintlich geistreich von ihm sagt: er sey ein Sokrates, der keinen Platon gefunden habe. Der Sokrates der Athener wurde bekanntlich als ein Neuerer hingerichtet, und gewiß, er war der Verkünder einer neuen Zeit, gleichsam eines Evangeliums des Wissens und der Erkenntniß, das auch Platon, wenigstens in seinen bekannten Werken, nicht sowohl darstellte und aussprach, als einleitete und vorbereitete. Das einzige tertium comparationis, das sich bei dieser Vergleichung etwa denken ließe, wäre, was man gewöhnlich zu sagen pflegt, Sokrates habe sich von speculativen Untersuchungen ganz abgewendet, seine Geistesthätigkeit und Wirkung ausschließlich auf das sittliche Leben und auf praktische Weisheit gerichtet. Dasselbe sey bei Confucius der Fall. Der Inhalt seiner Schriften sey weder eine buddistische Kosmogonie, noch eine Metaphysik im Sinn des Lao-tsee, sondern bloß praktische Lebens- und Staatsweisheit. Was aber den Sokrates betrifft, so wäre diese Abwendung von der Speculation und diese praktische Richtung, vorausgesetzt, daß es sich wirklich ganz so verhielte wie man gewöhnlich annimmt, etwas ihm Eigenthümliches. Dagegen ist Confucius nur der geistige Repräsentant, gleichsam der Ausdruck seines Volks; daß er alle Weisheit bloß auf das öffentliche Leben und den Staat bezog, dieß war eben darum nichts Eigenthümliches oder ihn individuell Charakterisirendes; er sprach dadurch nur die Natur seines Volks aus, welchem der Staat alles ist, so daß es weder eine Wissenschaft, noch eine Religion, noch eine Sittenlehre außer dem Staat kennt. Eben durch diese ausschließliche Beziehung aller moralischen und geistigen Interessen auf den Staat ist aber Confucius vielmehr ein Gegensatz von Sokrates; denn wenn er (Confucius) den ganzen Menschen für den Staat in Anspruch nimmt, wenn er Theilnahme und Thätigkeit für denselben besonders fordert und empfiehlt, entfernt von einer quietistischen Moral, die sich später mit dem Buddismus auch in China eingefunden, so fand Sokrates in der Beschaffenheit der Staatsverfassung und Verwaltung seiner Zeit vielmehr Ursache, den Philosophen von der Theilnahme der öffentlichen Angelegenheiten abzumahnen. Freilich sind die Lehren des Confucius frei von aller mythologischen Farbe und von kosmogonischen Bestandtheilen, aber auch dieß ist nichts, das ihn insbesondere bezeichnete; er ist auch darin nur der freie Abdruck des nüchternen, alles, was über den einmal vorhandenen Zustand der Dinge hinausstrebt, gleichsam fliehenden und abweichenden Charakters seiner Nation. Ein neuerer Schriftsteller bedient sich des Ausdrucks: die chinesische Philosophie von Confucius sey die Mythologie der Griechen, Inder, Aegypter ohne ihre allegorische Sprache. Dieser Ausdruck scheint aus der herkömmlichen Meinung entsprungen, als gehöre die Sprache in der Mythologie nicht mit zu der Sache, als würde, wenn man den bildlichen allegorischen Ausdruck hinwegnähme, an der Stelle der Mythologie eine reine bloße Philosophie, und zwar in dem abstrakten Sinn der neuern Zeit, erscheinen. Diese Meinung ist in der Einleitung zur Philosophie der Mythologie hinlänglich widerlegt worden. Die Wahrheit ist, daß die chinesische Lehre auch vor Confucius keine Spur weder von indischer, noch ägyptischer, noch griechischer Mythologie an sich hat. Daher Confucius hierin nichts gemein hat mit den griechischen Philosophen. Die eben genannten Mythologien sind entstanden durch eine fortschreitende Bewegung, welche für das chinesische Bewußtseyn absolut unterbrochen worden. In diesem hat das Princip, welches in allen andern Mythologien zu einer bloß relativen wurde, sich als absolutes behauptet, aber dadurch und durch die hiemit gesetzte Ausschließung der höhern Potenz — derjenigen, welche allein die Wiederherstellung des den wahren Gott erkennenden Bewußtseyns vermittelt —, dadurch hat auch das vorausgegangene, allein festgehaltene Princip seine theogonische Bedeutung verloren. Das nothwendige Resultat dieser absoluten Veräußerlichung oder Verweltlichung war nicht nur ein überhaupt in der Welt existirender, sondern zugleich unbeweglicher Gott, der wirklich nur noch die Funktion eines Gesetzes, einer Weltordnung, einer alles regelnden und zusammenhaltenden Vernunft hat, dessen Persönlichkeit ganz gleichgültig ist, weil sie ohne Einfluß ist; kurz das Resultat ist ein Rationalismus, dessen sich die modernsten Philosophen und Aufklärer nicht zu schämen hätten, und in den Schranken dieses Rationalismus hält sich dann nun auch ganz und gar die Lehre des Confucius. Der höchste religiöse Ausdruck des volkbeherrschenden Princips ist auch bei Confucius Himmel. Unstreitig ist der Geist des Himmels gemeint, aber dieß ist im Wesentlichen ohne Folge, denn auch dieser Geist des Himmels wirkt nur als ein Fatum, als ein immer sich gleichbleibendes, unbewegliches und unveränderliches Gesetz. Alle Beweglichkeit ist in den Menschen gelegt, der Himmel ist das immer Gleiche, Unbewegliche.
Aus einem andern Gesichtspunkt ist allerdings die Lehre des Lao-tsee (Lao-Kium) [Laozi] zu betrachten; diese ist wirklich speculativ in einem ganz andern Sinn als die politische Moral des Confucius. Beide (Confucius und Lao-tsee) waren Zeitgenossen, beide lebten im sechsten Jahrhundert v. Chr. Wenn Confucius bestrebt ist alle Lehre und Weisheit auf die alten Grundlagen des chinesischen Staats zurückzuführen, so dringt Lao-tsee ganz unbedingt und allgemein in den tiefsten Grund des Seyns. Um jedoch erst das Literarhistorische über seine Lehre beizubringen, so ist der gelehrten Welt in langer Zeit keine solche Mystification widerfahren, als ihr durch die vor ungefähr 20 Jahren erschienene Abhandlung des Hrn. A. Remusat sur la vie et la doctrine de Lao-tse bereitet wurde. Der Verfasser versichert 1) die beinahe unüberwindliche Unverständlichkeit der chinesischen Texte des Lao-tsee, des Tao-te-King (dieß ist der Titel eines Hauptwerks); 2) will Hr. A. Remusat glauben machen, es sey zwischen den Ideen des Lao-tsee und der mehr westlichen Völker Asiens eine Uebereinstimmung, durch welche beglaubigt werde, was die Sage von einer Reise desselben nach Westen erzähle. Die Legende erzählt zwar nur (und auch dieß müssen wir auf Treu und Glauben von Abel Remusat annehmen), daß Lao-tsee nach Herausgabe des Tao-te-King in die Länder gegen Westen und zwar in eine große Entfernung von China gezogen sey, ohne zurückzukehren. Hr. A. Remusat benutzt die Sage, um den Lao-tsee vor der Herausgabe seines Hauptwerks die Reise nach Westen unternehmen zu lassen, die sich nach seinen Ver-muthungen nicht nur nach Balk oder Baktrien, sondern bis nach Syrien und Palästina erstreckt hätte, ja Hr. A. Remusat ist nicht abgeneigt, ihn bis nach Griechenland kommen zu lassen. Zu weiterer Beglaubigung wird dann eine Stelle aus dem Tao-te-King [Dao de jing] angeführt, in welcher Hr. A. Remusat die deutliche und unwidersprechliche Spur des geheiligten Namens Jehovah erkennen will, von dem Lao-tsee in Palästina Kunde erhalten habe. Wenn nach Erscheinung dieser Abhandlung es Philosophen oder andere Schriftsteller gab, die ohne eigentlich gelehrte und kritische Durchbildung eine solche Versicherung gläubig aufnahmen, so kann man sich darüber nicht wundern. Hr. A. Remusat hatte aber durch seine anderen verdienstvollen Untersuchungen kritische Uebung und Erfahrung genug erworben, daß man sich in der peinlichsten Verlegenheit sieht, an der Aufrichtigkeit seiner Versicherung zweifeln und wenigstens annehmen zu müssen, daß mehr oder weniger bewußte Rücksicht auf die damals in Frankreich mächtigen Jesuiten den sonst hellen Geist des Mannes verblendet habe. Von dem Allem nämlich, was Hr. A. Remusat über Lao-tsee und seine Lehre behauptet, hat sich nichts als wahr erwiesen, seit das Buch, von welchem eigne Einsicht zu erhalten ich z.B. nie eigentlich Verzicht geleistet hatte, durch die Bemühungen des Hrn. Stanislaus Julien in einer französischen Uebersetzung mit Anmerkungen und Commentaren, welche zugleich die volle Ueberzeugung von der Gewissenhaftigkeit des Uebersetzers gewähren, uns zugänglich geworden ist - verständlich freilich nicht jedem, sondern nur dem, der selbst in den tiefsten Grund der Philosophie eingedrungen. Da zeigt sich nun aber, daß die Tao-Lehre so ganz im Geist des entferntesten Ostens gedacht und erfunden ist, daß von westlicher Weisheit - ich will nicht sagen, von griechisch-pythagorischer - aber auch von syrisch-palästinensischer oder auch nur indischer Denkart und Weisheit nicht eine Spur ist. Tao heißt nicht Vernunft, wie man es bisher übersetzt hat, Tao-Lehre nicht Vernunftlehre. Tao heißt Pforte, Tao-Lehre die Lehre von der großen Pforte in das Seyn, von dem Nichtseyenden, dem bloß seyn Könnenden, durch das alles endliche Seyn in das wirkliche Seyn eingeht. (Sie erinnern sich ganz ähnlicher Ausdrücke, der wir uns für die erste Potenz bedient haben.) Die große Kunst oder Weisheit des Lebens ist eben, dieses lautere Können, das ein Nichts und doch zugleich Alles ist, sich zu bewahren. Der ganze Tao-te-King bewegt sich nur darum, durch eine große Abwechslung der sinnreichsten Wendungen diese große und unüberwindliche Macht des nicht Seyenden zu zeigen. Ich bedaure sehr, tiefer und umständlicher nicht eingehen zu können, theils nach Maßgabe der mir noch gegönnten Zeit, theils weil die Darstellung einer solchen rein philosophischen Erscheinung wie die Tao-Lehre, wäre sie auch übrigens vom höchsten Interesse, nicht in den Kreis unserer gegenwärtigen Untersuchung gehört. Ich bemerke nur noch: die Tao-Lehre ist nicht ein ausgeführtes System, das z.B. ausführlichen Aufschluß über die Entstehung der Dinge zu geben sucht; sie ist mehr Auseinandersetzung eines Princips, aber in den mannichfaltigsten Formen, und der auf dieses Princip gebauten praktischen Lehre. Die Anhänger des Tao heißen Tao-sse, aber es ist aus der Natur der Lehre schon zu schließen, daß sie weder zahlreich noch mächtig sind und von den nüchternen Anhängern des Confucius als Ekstatiker, Mystiker u.s.w. angesehen werden.
Größer ist in China die Macht des Buddismus, zu dem ich nun fortgehe. Wie schon bemerkt, hat er sich um die Zeit des anfangenden Christenthums im ersten Jahrhundert n. Chr. erst nach China verbreitet. Es ist, als ob das Princip der Mythologie durch das Christenthum im Innersten angegriffen und erschüttert die Nothwendigkeit gefühlt hätte, diesem sich in einer neuen und mächtigen Gestalt entgegenzusetzen. Wenn man die plötzliche Erhebung und Ausbreitung der Buddalehre in Indien um eben diese Zeit sieht, kann man sich eines solchen Gedankens nicht erwehren. So viel ist gewiß, daß den Lehr- und Bekehrungsversuchen der christlichen Missionarien der Buddismus im Orient das unüberwindlichste Hinderniß entgegensetzt. Weit eher wäre zu erwarten, daß das ganze Volk der Bramanenanbeter sich änderte, als daß die Anhänger des Budda ihre Religion ablegten und die christliche annähmen. Der Name, unter welchem Budda in China verehrt wird, ist Fa. Fo ist der nur auf chinesische Art verstümmelte Name Budda, den ihre Organe nicht auszusprechen erlauben. Wenn auch diese Lehre in China das Thor oder die Pforte des Nichts oder der Leere genannt wird, so stimmt hier Budda mit Lao-tsee nur soweit überein, als allerdings das, was vor dem Seyn, und das, was über dem Seyn, beides frei vom Seyn als lautere Macht oder Potenz erscheint. Die Lehre des Lao-tsee bezieht sich indeß mehr auf den Anfang, und ist insofern vorzugsweise speculativ, die Lehre des Budda auf das Ende, also auf das Ueberseyende, auf die letzte Ueberwindung alles Seyns. Manche chinesische Schriftsteller legen indeß auf den Unterschied der drei Lehren selbst nur wenig Gewicht, sie halten die Weltordnung des Confucius, das Tao des Lao-tsee und das Nichts des Buddismus nur für verschiedene Ausdrücke einer und derselben Idee. Es gibt sogar ein bekanntes chinesisches Sprüchwort, daß die drei Lehren nur Eine seyen. Die Kaiser der gegenwärtigen, der Mandschu-Dynastie, werden selbst gewissermaßen zu diesen Eklektikern gezählt, die nämlich die drei Lehren verbinden. Im Uebrigen ist es nicht zu leugnen, daß der Buddismus gerade in China bis auf jene Spitze sich treiben mußte, wo er zum völligen Atheismus wird. Die Fo-lehre in ihrer höchsten Steigerung spricht ausdrücklich den Satz aus, daß weil Religion ihren Sitz im menschlichen Herzen habe, das menschliche Herz aber eigentlich auch nichts sey, wie alles, auch die Religion selbst nichts sey. (Gipfel aller Mystik - Versenkung - Annihilation des Subjekts = Annihilation des Objekts.)
Der Buddismus, der erst mit der jetzt herrschenden Dynastie seit dem 17. Jahrhundert als eine mit den andern vollkommen gleichberechtigte Religion in China erscheint, hat sich übrigens stets dem Staatszwecke unterordnen müssen, wie dieß insbesondere auch aus dem Verhältniß der lamaischen Hierarchie in Tibet erhellt, über welche ich, da so viele falsche Vorstellungen darüber verbreitet worden, noch einiges bemerken will. - Die ersten Missionarien, die dorthin drangen, mußten nicht wenig verwundert seyn, im Centrum Asiens wieder zu finden, was sie nur in Europa und dem christlichen Orient gekannt hatten, zahlreiche Klöster, feierliche Processionen, Wallfahrten, religiöse Feste, ein Collegium von Oberlamas, die ihr Oberhaupt selbst erwählen, einen kirchlichen Souverain und geistlichen Vater der Tibetaner und der tartarischen Völkerschaften. Diese seltsame Uebereinstimmung zu erklären, betrachteten sie den Lamaismus als ein entartetes Christenthum. Die Einzelheiten, über die sie staunten, waren für sie ebenso viele Spuren eines ehemaligen Aufenthalts syrischer Gemeinden in diesen Gegenden. Dieser Meinung war besonders Georgii, dessen Alphabetum Tibetanum als ein Hauptwerk über tibetanische Sprache und Literatur gilt. Selbst Desguignes, Lacroze - die sogenannten Philosophen des achtzehnten Jahrhunderts bedienten sich dieser Uebereinstimmungen im umgekehrten Sinn, nämlich die lamaische Hierarchie als das ursprüngliche Muster darzustellen, nach welchem ähnliche und selbst die christlichen Institutionen gebildet worden. Dieß bedarf nun zwar keiner Widerlegung; allein es ist doch wichtig, sich einen genauen geschichtlichen Begriff von dem Ursprung der lamaischen Theokratie zu machen, wie er sich aus den neueren Untersuchungen, besonders A. Remusats, ergibt. Die ersten Vorsteher der buddistischen Kirche waren eine Art Patriarchen, in welchen die Seele des Budda fortlebte und die man als seine wirklichen Nachfolger ansah. Als späterhin der Buddismus genöthigt wurde Indien zu verlassen, und mit reißender Schnelligkeit nach China, Siam, Targum, Japan und in die Tartarei sich verbreitete, fanden die Fürsten, welche diese Religion angenommen hatten, glorreich, Oberhäupter des buddistischen Glaubens an ihren Höfen zu besitzen, und die Titel "Lehrer des Reichs, Fürst der Lehre oder des Glaubens" wurden an einheimische und ausländische Geistliche verliehen, je nachdem einer geeignet dazu schien. Auf diese Art bildete sich die Hierarchie unter dem Einfluß der Politik, und jederzeit nur das politische Uebergewicht eines Fürsten ertheilte einem der lebenden Buddas die geistliche Oberherrlichkeit. Aber der eigentliche Ursprung der tibetanischen Theokratie schreibt sich erst aus dem dreizehnten Jahrhundert, und zwar von den Eroberungen Dschingiskhans und seiner ersten Nachfolger her. Nie hatte ein Fürst des Orients über so weite Länder geherrscht als Dschingis, dessen Feldherrn zugleich Japan und Aegypten, Java und Schlesien bedrohten. Natürlich also erhielten auch die Fürsten des Glaubens nun höhere Titel. Der erste Budda wurde zum Königsrang erhoben, und weil der erste zufällig ein Tibetaner war, so wurden ihm seine Domänen in Tibet angewiesen. Der erste jedoch, der den Rang und Titel eines Großlama trug, erhielt ihn von einem Enkel des großen Eroberers; der Titel Dalailama ist sogar noch um einige Jahrhundert später als Dschingiskhan und erst um die Zeit Franz I. von Frankreich aufgekommen. Es bedeutet der Lama, der wie das Weltall ist, der universelle Lama, womit nicht seine wirkliche Macht, die nie weder sehr ausgedehnt noch eine vollkommen unabhängige war, sondern die Größe seiner geistigen, übernatürlichen Vollkommenheit angedeutet wird, welche begreiflicherweise die Eifersucht der tartarischen und chinesischen Fürsten nicht erregen konnte. Um die Zeit, als die buddistischen Patriarchen ihren Sitz in Tibet nahmen, waren die benachbarten Gegenden der Tartarei voll von Christen. Nestorianer hatten dort Metropolen gegründet und ganze Völkerschaften bekehrt. Die Eroberungen des Dschingis riefen Fremde aus allen Ländern dorthin. Der heilige Ludwig und der Papst sendeten um dieselbe Zeit katholische Priester in jene Gegenden, welche kirchliche Ornamente, Altäre, Reliquien u.s.w. mit sich führten und die Ceremonien ihres Cultus in Gegenwart der tartarischen Prinzen celebrirten. Syrische, römische, schismatische Christen, Muselmänner und Götzendiener lebten damals untereinander am Hofe der mongolischen Kaiser, die sich im höchsten Grade tolerant erwiesen. Unter diesen Umständen wurde der neue Sitz der buddistischen Patriarchen in Tibet gegründet. Es ist nicht zu verwundern, wenn sie - bemüht die Pracht ihres Cultus zu erhöhen - einige liturgische Gebräuche, vielleicht selbst einige von den Einrichtungen des Occidents einführten, die ihnen die Abgesandten der Päpste angerühmt hatten. Seitdem die chinesischen Kaiser von der Mandschu-Dynastie mit ihren Armeen in Tibet eindrangen, die festesten Positionen militärisch besetzten, und Militärcommandos beauftragt waren, den oft gestörten Frieden in der tibetanischen Hierarchie zu erhalten, ist das Haupt derselben völlig in dem Verhältniß eines Vasallen, obgleich das Collegium des Ritus ihm erlaubte, sich "den durch sich selbst lebenden Budda" zu nennen und die prachtvollsten Titel zu führen. Bei dem vor einigen Jahren erfolgten Tode des letzten Großlama behaupteten die Tibetaner, dieser habe seine Seele einem in Tibet geborenen Kind hinterlassen. Die kaiserlichen Minister in Peking dagegen erklärten, versichert zu seyn, daß der Verstorbene bereits in der Person eines jungen Prinzen der kaiserlichen Familie wiedergeboren sey. Unstreitig haben sie dieß durchgesetzt, und man sieht also dadurch das Großpriesterthum von Tibet gänzlich der weltlichen Macht von China untergeordnet. Wenn man übrigens den Zustand jener Gegenden betrachtet, so kann man nicht umhin zu erkennen, daß die buddistische Religion der Menschheit einen wesentlichen Dienst geleistet hat. Sie eigentlich ist es, welche die Sitten der tartarischen Nomaden friedlich gemacht hat; ihre Apostel wagten es zuerst, dem wilden Eroberer von Moral zu sprechen; ihr ist zu danken, daß sie Asien und Europa nicht mehr bedrohen. Zur Zeit des Dschingis waren die Völker von türkischer und mongolischer Abkunft, welche seine Gewalt eine Zeit lang vereinigt hatte, gleich wild. Die ersten hat der Islam, dem sie anhängig blieben, nicht verändert, im Gegentheil hat der Fanatismus einer intoleranten Religion ihre natürliche Neigung zu Raub und Mord nur erhöht. Die mongolischen Nationen, die nacheinander den lamaischen Cultus annahmen, haben ihre Sitten völlig verändert. Ebenso friedlich, als zuvor kriegerisch, sieht man bei ihnen außer ihren Heerden, die ihre Hauptbeschäftigung sind, Klöster, Bücher, ja Büchersammlungen; selbst Druckereien fanden sich unter ihnen. Freilich muß man die Hauptursache der Bezähmung der mongolischen Race in der entnervenden Wirkung suchen, welche diese von Indien aus verbreitete, contemplative, unspeculative, das unthätige Leben begünstigende Religion überall hin mit sich bringt. Der Buddismus führt uns also jetzt nach Indien und damit in den Zusammenhang unserer Entwicklung zurück.
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