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Wuwo (Pseud.)

(um 1914)

Name Alternative(s)

Wu-wo (Pseud.)

Subjects

Index of Names : China

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# Year Text Linked Data
1 1914 Wuwo. Deguo you guo zhi jiao yu jia Feixituo zhuan [ID D19591].
Wuwo schreibt : Der Wegbereiter derer, die sich in der Neuzeit ernsthaft und aufrichtig für die Nationalerziehung eingesetzt und sie der praktischen Verwendung angepasst haben, war der deutsche Philosoph Fichte… Die zeitgenössischen Politiker halten sich stets nur an den bestehenden Staat und haben keine weitreichenden Ideale. Die Dichter und Philosophen beschäftigen sich dagegen ausschliesslich mit Idealen, die die wirkliche Welt übersteigen und von den alltäglichen Gebräuchen getrennt sind ; sie betrachten Gesellschaft und Staat leidenschaftslos als etwas dauerhaft Gegebenes. Der einzige, der beides [Ideale und Wirklichkeit] berücksichtigte und dadurch die Menschen bis heute unweigerlich tief berührt, war Fichte. Fichte war sowohl Philosoph als auch Pädagoge und besass überdies das höchste Gefühl einer glühenden Vaterlandsliebe. Er machte es sich zur Aufgabe, die Staatsbürger tagein und tagaus zu ermutigen und opferte schliesslich sogar sein Leben zum Wohle der Nation. O ! Dies ist es, warum ich jedes Mal, wenn ich seine Biographie lese, heftige Erregung und eine starke Erhebung empfinde.
Selbst der Dichter Goethe und der Philosph Hegel sowie andere integre und moralisch hochstehende Menschen warfen sich in dieser Zeit vor dem weltweit mächtigsten Herrscher in den Staub ; ausser Wehklagen und um Gnade betteln fiel niemandem etwas ein. Nur einen Menschen gab es, der in dieser Situation das hohe Gefühl der Sorge um die Nation in seinem Busen bewahrte und seinem heissen Blute mit ganzer Seele Ausdruck verlieh, der angesichts des drohenden Untergangs seiner Heimat nur Schmerz empfand und nichts davon wissen wollte, dass ein Mensch allein wenig auszurichten vermag. Von 1807 an hielt er an der Berliner Universität die erhebenden und aufwühlenden Reden an die deutsche Nation, um die Wachsamkeit der Staatsbürger zu schärfen. Dieser Mensch war niemand anders als Johann Gottlieb Fichte : "Unser Land wurde wider alle Erwartung von Napoleon unterworfen. Aber : sind wir Büger dieses Staates wirklich willens, diese Erniedrigung zu erdulden ? Werden wir uns tatsächlich mit Tieren gemein machen und unseren guten Namen ruinieren ? Wie wollen wir uns stattdessen wirklich verhalten ? Der Kampf der Waffen ist schon beschlossen. Aber der Krieg der Sitten und des Charakters beginnt erst ! Erhebt Euch, ihr Bürger unseres Staates, steht auf und [beweisst, dass] wir nicht träge und gleichgültig sind."
Fichte konnte seinen bislang unterdrückten Hass auf den Feind nicht mehr länger zurückhalten und rief zum Schluss seiner Rede : Die Vorlesung wird wegen des bevorstehenden Ausbruchs der Kämpfe bis auf weiteres unterbrochen. Ich werde sie erst fortsetzen, wenn wir wieder eine freie Nation sind. Andernfalls bleibt uns nur, uns für die Freiheit zu opfern und zusammen zugrunde gehen… Von Fichte angespornt rafften sich die Deutschen endlich auf und handelten energisch. Das Geschick der Nation verbesserte sich seither mit jedem Tag. Allein durch das heroische Engagement eines einzelnen Gelehrten, hatte sich Preussen, Deutschland von einer nahezu 'ausgelöschten' Nation zur Vormacht in Europa entwickeln können…
Fichte war privat mit Kant bekannt und hat dessen Lehre weitergegeben. Die Haltung, mit der er seiner Philosophie Ausdruck verlieh, war allerdings eine ganz andere. 'Die Klassiker unzerkaut zu verschlingen' war nicht seine Sache. Kants Lehre ist tief und transzendent. Fichte befasst sich dagegen ausschliesslich mit der Wirklichkeit. Kants Theorie sah Noumenon und Phänomen, Vernunft und Empfindung als entgegengesetzt an. Fichte erforschte darüber hinaus die diesen Gegensätzen zugrunde liegenden Prinzipien. Er begründete die sogenannte Identitätsphilosophie und gilt als Wegbereiter Schellings.
Fichte hält die Freiheit für das Wesen der Sittlichkeit. Er sagt : 'Sittlichkeit, das ist unaufhörliche Tätigkeit. Nicht tätig zu sein ist eine Todsünde. Tätigkeit ist nichts anderes als vollständige Freiheit. Wer sich nicht von andern Menschen abhängig macht, muss sich nicht kontrollieren lassen. Alles der Natur zu überlassen und keinen kämpferischen und dynamischen Willen zu besitzen ist der Ursprung der Unsichttlichkeit.' Deshalb lautet Fichtes wichtigster Hinweis zur Erziehung, kämpferische und dynamische Staatsbürger heranzubilden, um das Geschick der Nation zu fördern.

Joachim Kurtz : Die Frage der 'Nationalerziehung', d.h. der Aufbau eines allgemeinen staatlichen Erziehungssystems, das, wie Wuwo es definiert, ‚kämpferische und dynamische Staatsbürger’ heranbilden sollte, die sich ohne Rücksicht auf ihre indivuellen Interessen in den Dienst von Volk und Staat stellen würden, nahm tatsächlich schon seit der Jahrhundertwende breiten Raum in der gelehrten Dissussion Chinas ein. 'Wer sich mit der praktischen Erziehung befasst', schreibt Wuwo, 'darf mangelhaftes Wissen und unbeholfene Lehrmethoden gewiss nicht als belanglos ansehen. Doch durch Wissen und Lehrmethoden allein lässt sich das Potential einer Erziehung zu unaufhörlicher Tätigkeit keineswegs ausschöpfen'. Entscheidend sei zu diesem Zweck vielmehr das lebendige Vorbild eines Menschen, der die 'sittlichen Ideale', die eine solche Erziehung anstrebe – vor allem anderen unbedingte 'Vaterlandsliebe' - , in Worten und Taten verkörpere. Fichte hatte dies für Wuwo in einzigartiger Weise getan. Fichtes patriotischer Lebensweg zeichnet sich vor Wuwo in erster Linie dadurch aus, dass sich in ihm sittlich-politische Ideale mit einem unbeugsamen Willen zur praktischen Tat verbinden.
Wuwo porträtiert Fichte als einen Helden und eine Persönlichkeit von 'höchster Aufrichtigkeit und Lauterkeit'. Grosse Aufmerksamkeit schenkt er Fichtes 'Lehrzeit bei Immanuel Kant' und belegt durch Zitate aus den Tagebüchern, die 'unverbildete Natürlichkeit seines Herzens und Wesens'. Fichtes natürliche Biederkeit finden Ausdruck in Mut und Entschlossenheit, was ihn zu seinen Reden an die Deutsche Nation veranlasste. Der mutige Philosoph habe seine Landsleute zur 'Rettung der Nation' ansgespornt. Seine Mahnungen, die ‚voll von Leidenschaft, Trauer und Empörung’ gewesen seien, hätten 'die preussische Nation zutiefst zu bewegen vermocht'.
Wuwos Ansicht ist, dass sich die im Fall des niedergeschlagenen Preussen, genauso wie im gegenwärtigen China erforderliche 'Neuorganisation der Gesellschaft' auf keinen Fall von 'minderwertigen Egoisten' bewältigen lasse, sondern auf Menschen angewiesen sei, 'die frei, uneingenützig und gebildet sind und gut arbeiten'. Die einzige Methode solche Staatsbürger heranzubilden, bestehe darin, die Erziehung vollständig von der Familie zu trennen und in die Verantwortung des Staates zu übertragen.
Wuwo beeinflusste die politische und propagandistische Fichte-Rezeption bis zum Ende der Republik und übte bei den Intellektuellen eine beträchtliche Anziehungskraft aus. Der Nationalismus Fichtes war Vorbild darin, dass der Nationalismus sich nicht auf einen konkreten Staat mit einer bestimmten politischen Verfassung bezieht, sondern auf eine unabhängig bestehende Kulturgemeinschaft. Anders als im 'westlichen' Nationalismus, der die Zugehörigkeit eines Menschen zu einer Nation auf einen rational begründeten Willensakt zurückführt, erscheint Fichtes 'Vaterlandsliebe' bei Wuwo als ein keiner Rechtfertigung bedürfendes Gefühlt, als eine vermeintlich natürliche Regung, deren Abwesenheit ein emotionales und sittliches Difizit auf Seiten des ‚gefühllosen’ Individuums bedeuten würde. Die gezielte Emotionalisierung und Versittlichung Fichtes Patriotismus ermöglicht Wuwo die konkreten demokratisch-emanzipatorischen Forderungen, die Fichte auch in seinen Reden erhebt, aus der vorgestellten Konzeption des Nationalismus auszublenden und diesem somit jeden greifbaren politischen Inhalt abseits der Forderung nach unbedingter Loyalität zu nehmen. Wenn die 'Rettung' der chinesischen Nation, wie Wuwo und andere nach ihm behaupteten, 1) von einer patriotisch gesinnten Bürgerschaft abhängt und b) diese Gesinnung nur durch eine angemessene sittliche und emotionale Bildung gewährleistet werden kann, dann fällt den Intellektuellen, in deren Händen diese Bildung liegt, weiterhin eine wichtige Rolle innerhalb des Staates zu.
  • Document: Kurtz, Joachim. J.G. Fichte in China : Materialien zu den Anfängen der chinesischen Rezeption eines deutschen Philosophen. (Berlin : Kurtz, 1997). M.A. Freie Univ. Berlin, 1997. S. 46-48, 50-59. (Kur1, Publication)
  • Person: Fichte, Johann Gottlieb

Bibliography (1)

# Year Bibliographical Data Type / Abbreviation Linked Data
1 1914 Wuwo. Deguo you guo zhi jiao yu jia Feixituo zhuan. In : Jiao yu za zhi ; vol. 6, no 1 (April 1914). [Biographie des um sein Land besorgten deutschen Pädagogen Johann Gottlieb Fichte].
德國懮國之教育家菲希脫傳
Publication / Fich50
  • Cited by: Kurtz, Joachim. J.G. Fichte in China : Materialien zu den Anfängen der chinesischen Rezeption eines deutschen Philosophen. (Berlin : Kurtz, 1997). M.A. Freie Univ. Berlin, 1997. (Kur1, Published)
  • Person: Fichte, Johann Gottlieb